Kiddush

Kiddush am Freitagabend hat sehr viele halachische Aspekte, von denen einige hier etwas näher beleuchtet werden sollen. Dies sind:

Quelle und Grund

Der Talmud1 lernt von dem Vers "Gedenke des Shabbat-Tages, dass du ihn heiligst..."2, dass man sich des Shabbat zum Zeitpunkt seines Beginns erinnern soll. Rashi und Rambam erklären, die Worte "dass du ihn heiligst" lehren, dass Kiddush zu dem Zeitpunkt erforderlich ist, zu dem der Shabbat seine Heiligkeit erlangt - also zu seinem Beginn. Tosfos3 merkt dazu an, dass diese Interpretation des Verses definitiv ist, und nennt den Kiddush eine Verpflichtung der Torah. So nennt es auch der Rambam4.

Der Rambam5 erklärt, dass der Grund für den Kiddush am Freitag Abend darin liegt, dass alles, was einer Heiligung bedarf - so wie der Neumond und das Jubeljahr - zu seinem Eintritt geheiligt wird. Der Chinuch6 sagt, wir heiligen den Shabbat durch den Kiddush, um seine Größe und Besonderheit gegenüber anderen Tagen hervor zu heben.

Form

Die meisten halachischen Autoritäten, einschließlich Magen Avraham7, Alter Rebbe8 und Mishnah Brurah9 geben an, dass man seine Verpflichtung für den Kiddush bereits erfüllt hat, wenn man lediglich den entsprechenden Abschnitt für den Shabbat gelesen hat. Nur die Rabbiner haben entschieden, dass Kiddush über Wein zu sprechen ist.

Magen Avraham10 sagt, man hat seine Pflicht für den Kiddush bereits durch sein Lesen beim regulären Freitag-Abend-Gebet erfüllt. Rabbi Akiva Eiger11 ist gar der Meinung, dass die bloße Erwähnung des Shabbat, etwa durch den Gruß "Shabbat Shalom") hierfür genügt. Pri Megodim12 hingegen gibt an, dass der vollständige Segensspruch einschließlich seiner Beendigung mit "Baruch ata HaShem mekadesh haShabbat" dazu nötig ist. Sdei Chemed13 bringt den Beweis, dass der Segensspruch allein zur Erfüllung der Mitzvah nicht ausreichend ist, indem er auf Rashba14 verweist, der angibt, dass im Kiddush der Heiligkeit des Shabbat durch das Lesen der Verse "va-jechulu"15 oder "ve-shamru"16 erinnert wird.

Der Chatam Sofer17 argumentiert, dass selbst wenn man theoretisch seine Mitzvah bzgl. Kiddush bereits durch das Dawenen erfüllen kann, es doch besser ist, die rabbinischen Voraussetzungen zu erfüllen und den Kiddush über Wein zu sprechen. Man sollte daher beim Dawenen im Sinn haben, die Mitzvah für Kiddush hier noch nicht zu erfüllen, sondern dies erst später bei der Rezitation über einem Becher Wein zu tun, wie es die Rabbinen eingesetzt haben. Er schließt daher, dass Kiddush über Wein zur heutigen Zeit eine Mitzvah der Torah ist.
Ebenso kommt Tosfos Shabbat18 zu der Entscheidung, dass man die Kiddush-Mitzvah nur dann während des Dawenen erfüllt hat, wenn man dies explizit beabsichtigt hatte. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, so ist die Mitzvah nicht erfüllt, und es sollte zu Hause Kiddush über Wein gesprochen werden.
Psicha Kohellet des Pri Megodim19 sagt, dass, wann immer die Rabbinen festgelegt haben, dass eine Mitzvah auf eine bestimmte Art und Weise erfüllt werden muss, man auch die Torah-Mitzvah selbst nicht erfüllt hat, wenn man sich grundlos nicht an diese rabbinische Entscheidung gehalten hat. Nur wenn man aus zwingenden Gründen den rabbinischen Ansprüchen nicht entsprechen konnte, würde man die Torah-Verpflichtung dennoch erfüllt haben.

Der Minchat Chinuch20 schließt, dass man die Torah-Mitzvah des Kiddush nicht beim Dawenen erfüllen kann, da in den Texten des Gebetes der Auszug aus Ägypten nicht erwähnt wird21 - anders als im Kiddush über Wein, wo er Erwähnung findet.

Das Verbot, vor dem Kiddush zu essen

Der Talmud22 leitet das Verbot des Essens vor dem Kiddush von dem Gesetz bzgl. Ma'asser23 ab. Normalerweise ist es erlaubt, einen unbedeutenden Snack von noch nicht verzehntetem Ertrag zu essen. Sobald jedoch Shabbat angebrochen ist, ist die Verpflichtung des Zehnten streng, und selbst ein Snack wird als vollständige Mahlzeit gesehen, und ist somit verboten, bis der Zehnte genommen ist. Ähnlich ist auch die Verpflichtung des Kiddush verbindlich, sobald Shabbat eintritt, und man darf vor dem Kiddush weder essen noch trinken (auch kein Wasser). Selbst wenn es andere Mitzvoth gibt, bei denen lediglich eine Mahlzeit vor ihrer Erfüllung verboten ist (anders als ein "Snack" bzw. das (Ver-)Kosten von Nahrung), ist Kiddush hier strikter, da der richtige Zeitpunkt für ihn unmittelbar bei Beginn des Shabbat liegt.

Minchat Elazar24 ist der Meinung, das Verbot des Essens vor dem Kiddush gilt erst ab Einbruch der Dunkelheit und nicht bereits während der Dämmerung. Die ist vergleichbar mit der Situation vor Hawdalah, wo dieses Verbot erst am Einbruch der Dunkelheit gilt und es daher keinen Einwand gibt, mit Se'udat Shlishit noch während der Dämmerung zu beginnen.

Wie dem auch sei: Der Alter Rebbe25 und Mishnah Brurah26 entschieden, dass das Verbot des Essens bereits ab dem Einbruch der Dämmerung gilt. Der Alter Rebbe27 erklärt, dass sich die Situation des Kiddush von der Hawdalah dahingehend unterscheidet, dass man den Shabbat nicht während der Dämmerung beenden kann, wohingegen die Gesetze des Shabbat am Freitag bereits vom Beginn der Dämmerung an befolgen muss. Demzufolge ist dies halachisch der Beginn des Shabbat und somit die Zeit für Kiddush.

Wenn man den Shabbat "begrüßt", während es noch Tag ist (also vor der Dämmerung), kann man ebensowenig vor dem Kiddush essen. Es sollte angemerkt werden, dass das "frühzeitigere Begrüßen des Shabbat" gemäß dem Alter Rebbe28 durch das Dawening oder - im Falle einer Frau - das Entzünden der Shabbat-Kerzen geschieht, da dies bedeutet, dass man den Shabbat für sich selbst bereits (mit allen Konsequenzen) begonnen hat - was den Kiddush einschließt, vor dem man ja nicht essen darf. Das "Annehmen" von Tosfos Shabbat29 hingegen schließt nicht alle Aspekte von Shabbat ein und verbietet somit noch nicht das Essen vor dem Kiddush.

Torat Shabbat30 kommt zu dem Schluß, dass das Entzünden der Shabbat-Kerzen nicht ausreicht, um das Essen vor dem Kiddush zu verbieten, wohingegen das frühere Dawenen von Ma'ariw dafür genügend ist. Mincha Chadashah31 jedoch sagt, dass eine Frau aus praktischen Gründen nach dem Entzünden der Shabbat-Kerzen außer Wasser nichts trinken soll, da es Autoritäten gibt - auf die man sich in diesem Fall berufen kann -, die das Trinken von Wasser vor dem Kiddush im Allgemeinen erlauben. Der Maharscham32 stellt die Regel auf, sie sollte nur dann nach dem Entzünden der Kerzen Wasser trinken, wenn die Dämmerung noch nicht eingetreten ist und sie wirklich große Beschwerden (Durst) hat.

Wie das Brot (Challah) anzuordnen ist

Der Schulchan Aruch33 gibt an, dass man sowohl ein Tuch auf den Tisch unter die Challah legen, als auch die Challah mit einem weiteren bedecken soll. Drei Gründe werden hierfür genannt: Erstens erwähnt der Talmud34, dass man den Tisch nicht vor dem Kiddush decken soll. She'iltot35 erklärt dies damit, dass dies zeigt, dass das Mahl zu Ehren des Shabbat gebracht wird. Tosfos36 erklärt, es wäre unpraktisch für uns, die wir große Tische haben, mit dem Decken derselben bis nach dem Kiddush zu warten. Daher ist der Tisch bereits gefüllt, das Brot jedoch verdeckt. Ein zweiter Grund37 ist, dass in der Reihenfolge der Segenssprüche Brot eigentlich vor Wein kommt. Es wird also verdeckt,, damit es sich nicht "entrüstet", dass hier der Wein zuerst gesegnet wird. Als drittes erwähnt Tosfos, dass die Tücher auf und unter der Challah den Tau auf und unter dem Manna in der Wüste symbolisieren.

Die verschiedenen Gründe haben praktische Auswirkungen. Magen Awraham38 empfiehlt, dass man gemäß des zweiten Grundes, also der Reihenfolge der Berachot, die Challah unmittelbar nach Beendigung von "boreh pri ha-gafen"39 wieder aufdecken dürfe. Dem ersten Grund zufolge müsse man jedoch bis zur vollständigen Beendigung des Kiddush damit warten.
Mischnah Brurah40 und Nimukei Orach Chajim41 schlagen vor, dass man gemäß des dritten Grundes die Challah bedeckt lassen sollte, bis HaMozi für das Manna keinen Zusammenhang zum Kiddush als solchen mehr darstellt. Der Aruch HaShulchan42 sagt, dies sei der allgemeine Brauch.

Rivevot Ephraim43 schreibt, wenn man Kiddush für eine (größere) Anzahl von Menschen macht, welche ihre eigenen Challot haben, sollten sie diese ebenfalls bedecken - selbst wenn sie an einem separaten Tisch sitzen. Wenn hingegen jeder für sich selbst Kiddush macht, gibt es keinen Grund, dass er seine Challah bedeckt während jemand anderes seinen Kiddush spricht, da keiner der drei o.g. Gründe zutrifft, weil jeder seiner eigene Challah hat.

Der Kitzur Shulchan Aruch44 sagt, dass selbst Mesunoth, welche man nach dem Kiddush zu essen beabsichtigt, während des Kiddush bedeckt werden müssen. Eshel Awraham45 schreibt, dass dies vielleicht nicht nötig ist; dennoch muss man bereits geschnittene Challoth, die man während des Mahls essen will, bedecken.


Anmerkung:
Obiger Text ist nicht gedacht, halachische Fragen zu entscheiden, sondern lediglich, sie in klarer Form zu benennen. Mit praktischen Fragen empfehlen wir, sich an den lokalen Rabbiner zu wenden.


Fußnoten
1 Pessachim 106A
2 Shemot 20:8
3 Shavuoth 20B; Sotah 32A
4 Hilchot Shabbat 29:1
5 Sehmot 20:8
6 Mitzvah 31
7 271:1
8 271:1
9 271:2
10 ibid
11 ibid
12 ibid, Mishbetzei Zohav, 1
13 Ma'acheres HaKlolim, zajin 13
14 Responsa, Vol 4, 295
15 "Und es wurden vollendet die Himmel und die Erde...": Bereshit 2:1
16 "Und es sollen die Kinder Israel den Shabbat wahren...": Shemot 31:16
17 Responsa Orach Chajim 15; 17; 21
18 271:3
19 ibid
20 Mitzvah 31
21 die Erwähnung des Auszugs ist jedoch nach Talmud Pessachim 117B für den Kiddush zwingend nötig
22 Pessachim 105A
23 Abnahme des Zehnten vom Ertrag
24 Responsa Vol 1, 33; Vol 2, 11:1
25 ibid 9
26 ibid 11
27 ibid Kuntres Acharon 3
28 271:9
29 das frühzeitigere beginnen des Shabbat durch Beendigung aller verbotenen Arbeit, Melachah
30 271:6
31 77:2
32 Da'as Torah 271:4
33 Orach Chajim 271:9
34 Pessachim 100B
35 Jithro, She'ila 54
36 Pessachim ibid
37 Tur, 271
38 271:20
39 Weinsegen in der Mitte des Kiddush
40 ibid 41
41 ibid 2
42 ibid 22
43 Vol 1, Orach Chajim 200
44 51:5
45 182